Heute hat
Georg K.Glaser * 1910
Colm Toibin * 1955
Geburtstag
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Gottfried Keller
Wanderlied
Wie meine Seele jubelt
Ob dieser schönen Welt!
Wie eine Lerche schwebt sie
Hoch über Wald und Feld.
Bald wiegt sie sich auf Lilien,
Die still in Gärten stehn,
Dann wieder plötzlich stürzt sie
Sich in die fernsten Seen.
Nun ruht sie auf des letzten
Und blausten Berges Rand
Und schaut mit trunknen Augen
Hinüber ins fremde Land.
Doch kann sie nicht entrinnen,
Wie sie auch flieht allwärts,
Denn sie ist festgebunden,
Fest an ein schweres Herz!
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Unsere Praktikantin Sophie Janjanin empfiehlt:
Shawn Vestal: „Loretta“
Aus dem Amerikanischen von Verena Kilchling
Kein & Aber Verlag € 24,00
Sie trägt Jeans, das einzige Paar, das ihr Vater ihr für die Hausarbeit gestattet, und dazu Clogs. Ihre Heidenkleidung. Die Berge, die tagsüber rot sind, heben sich schwarz und zerklüftet vom satten Tintenblau der Nacht ab. Ihr Zuhause ist dort draußen am Rand, am Rand der Gemeinde Short Creek, genauso, wie Loretta und ihre Familie am Rand stehen – halbe Außenseiter, noch nicht ganz angekommen in den Armen des Propheten. Das macht es leichter, sich davonzuschleichen, ohne von den Männern des Propheten erspäht zu werden.
Shawn Vestal (*1966, Idaho) entfloh, wie auch seine Romanfigur „Loretta“, dem strengen genügsamen Mormonenleben. Beschrieb er seinem ersten Buch „Godforsaken Idaho“ noch die Anfänge des Mormonentums, steigt er mit „Loretta“ tief in die Welt der polygamistisch lebenden Gruppe von Gläubigen in Short Creek in Arizona ein. Es geht um Aufbruch und Ausbruch aus strengen Mustern: Die 16-jährige Loretta wird mit Dean verheiratet, der bereits Frau und Kinder hat. Sie lehnt sich gegen das System auf, stellt ihren Glauben in Frage, packt ihre Sachen und verschwindet. Im Gepäck hat sie außerdem noch eine handvoll Verehrer, die ihr den Traum vom ausschweifenden Single-Tussi-Leben verbauen wollen. Vestals Beschreibungen der Religionsauffassung der Mormonen erinnert stark an ein mittelalterliches Verständnis: Um ins Himmelsreich zu kommen muss das irdische Leben von Verzicht und Leiden geprägt sein. Doch auch bei den angeblich so Rechtschaffenen menschelt es deutlich: Scheinheilig sucht Familienpatriarch Dean nach Bestätigung, seines immer gierigeren Lebensstils.
Gibt es keinen Punkt, an dem ich meinen Anteil geleistet habe, mehr als meinen Anteil, viel mehr sogar, und den Rest behalten darf, ohne gleich mangelnder Rechtschaffenheit bezichtigt zu werden?
Man kann gar nicht anders, als mit den Menschen mitzufühlen, die versuchen, den Sinn ihres Daseins und ihres Tuns in einem größeren Ganzen zu suchen. Besonders Deans Neffe Jason, der Loretta mit Haut und Haaren verfallen ist, hadert mit seinem Weltbild:
Was es in einer gottlosen Welt tatschlich nicht geben würde, wäre ein Sinn für Recht und Unrecht.
Ob Gott für ihn tatsächlich existiert, ist bei den Jugendlichen im Buch aber nicht das Problem. Vielmehr geht es um die Frage: In welche Welt gehöre ich eigentlich?
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Nicht vergessen:
Dienstag, 6.Juni um 19 Uhr
„Die erste Seite“
Wir stellen vier neue Bücher vor
Eintritt frei
Donnerstag, 8.Juni um 19:30
Konstantin Richter: „Die Kanzlerin“
Lesung
Eintritt € 5,00